Zum Feiern in die Niederlande 19.7. – 27.7.2011

von Hedwig Seyr-Glatz (Juli 2011)

 

Meine Schwester Liesl ist 65. Die ganze Familie ist nach Holland eingeladen. Wir fahren also los: Am Dienstag, 19. Juli brechen wir zeitig in der Früh auf und schaffen es leider trotzdem nicht rechtzeitig zur Yogastunde um 18h30 in der SSM (Sozialistische Selbsthilfe Mühlheim) bei Ariane und Heinz in Köln/Mühlheim wie ausgemacht einzutreffen. Zu viel Verkehr, zu viel Stau, zu viele Baustellen auf Deutschlands Autobahnen! Aber es ist nicht zu spät für ein köstliches vegetarisches Abendessen von Arianes und Heinzens Hand zubereitet. Vorher bestaunen wir noch die Fortschritte in der SSM, die Terrasse, den Seminarraum, die Unterkunft, die liebevoll angelegten Gärtlein samt Bankerl und Kinderspielplatz, den Holzkeller, das aufgestapelte Holz und nicht zuletzt den üppigen Feigenbaum. Dann wird geredet und erzählt, was sich so alles getan hat in den letzten Jahren. Einiges wissen wir ja aus der Zeitschrift „Kontraste“, bei der Heinz und Ariane mitarbeiten.

Am nächsten Vormittag besichtigen wir die neu hergerichtete Halle am Rheinufer, das Zelt für die Möbel und hören und staunen über die Unternehmungslust der SSMler. Dann ein langer Spaziergang entlang des Rheins bei grauem, diesigem Himmel, im Schlosspark kommt endlich ein wenig die Sonne durch, als wir grade die modernen Skulpturen bewundern und Ariane von ihrem Wunschprojekt, der Umwandlung des vor sich hin gammelnden, seit Jahr(zehnt)en leerstehenden ehemaligen Altersheims in eine moderne Wohngemeinschaft, spricht. Von weiteren Ideen und Projekten gibt es nur die Überschriften, denn bei den ersten Regentropfen steigen wir – verspätet, was sonst – ins Auto, um unsere Fahrt Richtung Haarlem (das ursprüngliche, das in den Niederlanden) fortzusetzen.

Es ist nicht allzu weit, 260km. Wir haben nur in der Stadt mit ihren vielen Kanälen ein paar Probleme, in die Sackgasse, in der unsere Servasgastgeber wohnen, einzufädeln. Gleich fallen uns die vielen Radwege samt zahlreichen RadlerInnen auf. Addi und Hans erwarten uns bereits in ihrem Häuschen mit Blumenrand. Das Auto müssen wir klarerweise aus dem Zentrum fahren und auf einen Parkplatz stellen, den Addi nur zufällig kennt, weil dort ihre Mutter in einem Altersheim lebt. Die beiden sind nämlich autolos, haben jedoch 6 Räder in einer Gemeinschaftsgarage geparkt, wie das hier so üblich ist. Die Häuser sind zu klein und die Straßen zu eng, um die „Fietses“ dort zu parken.

Abends erzählen wir einander über unsere Familien, Reisen (ihre alle per Rad) und vor allem zeigt uns Hans seine umfangreiche Sammlung politischer Plakate – seit den 60er Jahren sammelt er! Mir bleibt der Mund offen angesichts dessen, was die Holländer schon vor 40 Jahren erstens graphisch und zweitens politisch auf dem Hut hatten. Und warum komme ich da erst jetzt in dieses interessante Land?



Servas-Meeting. Auftakt

Am nächsten Tag, es ist der 21. Juli, leihen uns Addi und Hans ihre bequemen Alltagsräder. Wir radeln zuerst gemütlich durch die wunderhübsche Altstadt von Haarlem, an Kanälen mit blumengeschmückten Hausbooten und mittelalterlichen Bürgerhäusern entlang, dann machen wir uns auf den ca 10 km langen Weg durch die Dünen zum Meer nach Zandvoort. Himmel und Meer sind grau in grau, aber es bleibt trocken. Wir legen uns auf eine vergessene Strandliege und atmen tief die Atlantikluft ein und unseren Familien- und Reisestress aus.

Das Städtchen selbst – ein Stück den Strand weiter nach Süden – zeigt uns zuerst seine etwas verlebte Strandseite im Stil der 60er Jahre mit vielen Burger- und Kebabbuden und einigen heruntergekommenen Bratislava-liken Wohnbauten und Geschäftsvierteln, bis wir auf dem Rückweg das eigentliche Zentrum mit engen Gässchen und hübschen kleinen Häusern samt üppigem Blumenschmuck entdecken.Der Radweg führt wieder durch Dünen und dann vorbei an wunderschönen Häusern mit den hier üblichen riesigen Fenstern ohne Vorhängen oder Jalousien hinter prächtigen Vorgärten. Brave Puritaner haben nichts zu verstecken.

Wieder in Haarlem finden wir das Frans Hals Museum in einem relativ schlichten alten Gebäude; die Bilder enttäuschen ein wenig, es sind hauptsächlich alte strenge Männer, die Stadtwächter, die sich mir einprägen. Wieder über den alten Hauptplatz mit Katzenkopfpflaster und vielen Radlfahrerinnen, keine Autos klarerweise. Hohe Lebensqualität an allen Ecken und Enden zu erkennen. Abends gehen wir mit Addi und Hans zu Fuß durch die Stadt ins Restaurant „Angenehm“, wo wir genau so essen. Wir unterhalten uns bestens, Holland gefällt uns vom ersten Tag an richtig gut, obwohl wir das Holländische nicht so leicht verstehen, wie es sich anhört.



manifest …

arbeitsscheu und …

… lustig

Am nächsten Tag brechen wir in der Früh auf, zuerst nach Amsterdam. Wir finden beim Bahnhof Amstel gleich einen Parkplatz, nehmen die U-Bahn zum Zentralbahnhof. Zuerst machen wir eine Bootsfahrt: es geht vorbei am Hafen, am modernen Tunneleingang, am tollen Bau des technischen Museums und dann durch die Grachten, fast die ganze Herrengracht entlang. Elegante Häuser, alle mit den hohen Fenstern, spitzen Giebeln, blumengeschmückte Hausboote. Ein bissl Orientierung ist da. Zurück beim Bahnhof holen wir uns gleich Räder, kriegen dazu einen Stadtplan und reihen auf Rädern mit Rücktritt d.h. ohne Handbremse, etwas zittrig ins Radgetümmel ein. Bald gelangen wir zum Rijksmuseum, in den Vondelpark, zum Van Gogh-Museum. Im Künstlerviertel setzen wir uns in ein schönes Ecklokal und genießen den Sonnenschein, die vielen verschiedenen Fahrräder beobachtend. Lorenz macht eine Statistik über Räder mit und ohne Handbremse. OHNE gewinnt nur knapp!

Ohne größere Umwege gelangen wir nun endlich nach Brummen, wo Lisl, meine Schwester, und Cor, ihr holländischer Mann mit halbdeutscher Herkunft, seit über 30 Jahren wohnen. Die meisten Festgäste sind schon da – es wird ja Lisls 65. Geburtstag gefeiert und dazu sind Cousine Burgi, Cousin Gottfried mit Frau Renate und Sohn Sebastian, Schwester Agnes, Schwager Rudi, Schwester Veronika, Bruder Bernhard und seine Frau Gitti angereist. Wir bekommen das funkelnagelneu eingerichtete Gästezimmer im 2. Stock. Abends tafeln wir in einem eleganten Landgasthaus. Köstlichst! Auch die Söhne Patrick und Daniel, der mit seinem kleinen Romano und Freundin Bianca und ihren beiden Kindern – modernes Patchwork, sind da.

Geburtstagskind mit Musikanten und Verwandten

Am nächsten Tag besichtigen wir die nahegelegene Hansestadt Zutphen. Ein professioneller Stadtführer leitet uns durch die hübsche kleine Stadt. Er spricht holländisch in deutscher Aussprache. Wir verstehen’s und sind stolz. Sehr eindrucksvoll die Stadtbibliothek in einer ehemaligen Kirche, das moderne Magistratshaus, die engen Gässchen, der Blumenmarkt, die bunte Geschäftsstraße. Gottfried verschlingt sogar einen Hering nach Art des Landes. Mir reicht der Geruch! Kaffee und Kuchen auf dem Hauptplatz schmecken jedoch auch mir.

Abends findet dann die Hauptfeier im großen Saal eines weiteren eleganten Landgasthauses statt. 42 Gäste, davon 12 Österreicher, ein üppiges Buffet, viel Bier, Wein und Wasser, ein wunderbares Musikantenpaar, spanisch zigeunerischen Klänge und gute Stimmung bis zum späten Schluss. Lisl im Glück! Sie hat ein tolles Fest zu ihrem 65er gestaltet.

Am nächsten Tag brechen alle Österreicher außer Lorenz auf nach Amsterdam. Lorenz flieht vor dem miserablen Wetter nach Westfalen zu einem Autor seiner Zeitschrift „Streifzüge“. Trotzdem wollen wir was erleben, und das gelingt auch.

Bei strömendem Regen schaffen wir es – zumindest ein Teil der Partie – ins Van Gogh-Museum zu kommen. Sehr eindrucksvoll! Ein Autodidakt wird berühmt, weil er sich einbildet, malen zu müssen. Sich selbst hat er damit kein Glück gebracht, umso glücklicher sind heute zumindest die Museumsgestalter – Menschenmassen drängen sich vor jedem einzelnen Bild!

Wir suchen ein Lokal und finden ein Pub, das uns triefnass aufnimmt. Die noch immer fröhliche Partie wandert weiter durch den Regen zur Oulde Kerk, um die herum sich das Rotlichtviertel dehnt! Die haben gar keinen Genierer, die Holländer! Wohnen in der Gegend keine Puritaner oder tritt da bloß ihr Geschäftssinn vor die Moral?

Dann geht’s auf die Suche nach einem Lokal fürs Abendessen. Ein indonesisches wird es im Gedenken an Lisls Hochzeit im Jahre 1973, als wir alle zum ersten Mal sowas Exotisches kennen lernten. Eine gemeinsame Platte, auf der Bernhard sich die Schuhe trocknen möchte, wieder viel Bier und Wein, gute Stimmung und eine geschmalzene Rechnung. Ja, wir sind an einer der touristischsten Stellen Europas, das muss bezahlt werden. Und im Regen nach Hause!

Am nächsten Tag bleibe ich bei Lisl in Brummen, wir fahren per Rad einkaufen, das Städtchen ist hübsch und sorgfältig gestaltet. Mehrere riesige Supermärkte scheinen dazu ein Muss. Ich schreibe Ansichtskarten, bereite mit Lisl das Abendessen vor, fahre noch ein Stündchen eine Runde per Rad nach Bronkhorst, das kleinste Städtchen Hollands. Per Fähre über den Fluss, liebliche Landschaft, weidende Kühe, grauschwarze Wolkentürme. Ich genieße die Ruhe.

Der 26.7. ist der eigentliche Geburtstag. Und zugleich das Ende der Feiern. Mit einem letzten Ständchen und einem lauten Umtrunk. Dann reisen wir – Lorenz ist von seinen langen Gesprächen wieder zurück – wie auch alle anderen Verwandten Richtung Österreich ab.

Abends kommen wir um ca 19h30 in Engelhartszell bei Eleonore und Josef, Servas-Freunden, an. Ein großes Haus an der Donau, das in den 60er Jahren zu einer Pension ausgebaut worden war und jetzt von Josefs Mutter und seinem Bruder bewohnt wird, mit einem schönen Garten und viel Grund rundherum, beherbergt uns. Josef zeigt uns sein physikalisches Atelier, erklärt uns seine Geräte. Wir lernen was, das mögen wir. Eleonore und Tochter Esther kochen Marillenknödel, wir schmausen, das mögen wir (oder hab ich das schon gesagt?). Dann wird viel erzählt und schließlich noch Rummy gespielt (von Lorenz und den anderen, ich spiele nur Quartett und Schwarzer Peter).

Eine Servas-Begegnung, wie wir sie mögen (schon wieder!). Vielen Dank dafür!



Servas-Meeting. Finale

Am 27. 7. fahren wir ohne Hast und Staus nach Hause, wo wir um 14h in der Josefstädterstraße eintreffen.